Systemsprenger
15.05.2023
Lorin Maazels Opernrarität 1984 lässt Raum für große Gefühle, denn für den Komponisten besteht der Kern in einer Liebesgeschichte. Am Theater Regensburg wird sein Werk jetzt für die Bühne wiederentdeckt.
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Die Oper 1984 von Lorin Maazel beginnt mit den Glockenschlägenvon Big Ben; es schlägt dreizehn. Am Ende wird sich das Bild wiederholen und die Oper endet mit einem gespenstischen Anblick der gebrochenen Systemsprenger Winston und Julia. „Ich hätte mir nie vorstellen können, eine Oper zu schreiben, oder jemals einen Stoff zu finden, den ich vertonen könnte. Professor Everding aus München kam Mitte der 90er Jahre jedoch auf mich zu, sagte, ich habe Kompositionen von Ihnen gehört, könnten Sie mir nicht eine Oper schreiben? Ich sagte natürlich nein …“, erinnert sich Komponist Lorin Maazel in einem Interview vor der Uraufführung der Oper 2005 am Royal Opera House in London.
Maazels Oper basiert auf George Orwells gleichnamigen dystopischen Roman NINETEEN EIGHTY-FOUR, den Orwell – der eigentlich Eric Blair hieß – als eindringliche Warnung vor totalitären Regimes schrieb. Seine Horrorvision eines totalen Überwachungsstaats, in dem Cyber-Überwachung, Geschichtsrevision und Gedankenpolizei den Alltag „gläserner“ Bürger*innen bestimmen, hat sich in einem zeitlosen Mahnmal ausgedrückt. „Das war aber nicht der Grund für uns, meine Librettisten J. D. McClatchy und Thomas Meehan, diese Oper zu machen. Uns ging es um zwei Liebende. Winston und Julia, die gefangen sind in dem Netz ihres politischen Schicksals: Sie werden entdeckt, gefoltert, der Gehirnwäsche unterzogen, gebrochen. Die Schönheit der Geschichte besteht darin, dass sie dies vorher wissen und trotzdem aneinander festhalten. Sie leben für den Augenblick. Es ist einfach eine Oper über zwei Menschen“, meinte Maazel und beschrieb den Zugriff auf die Romanvorlage so: „Die Handlung spielt – wie auch in Orwells Roman – in London, das jetzt Airstrip One genant wird. Nur wenige Menschen, die im Airstrip One leben, wissen, dass der Ort früher einmal London hieß. Es gibt eigentlich nur wenige Bezüge zum Roman. Es ist eine Geschichte über die Zukunft, wie Orwell sie sah, eine Zukunft, wie sie heute um uns herum Schritt für Schritt wahr zu werden scheint. Eine grausige Vorstellung. Und die meisten Leute wundern sich, was mit ihnen passiert. Dabei sind sie vorgewarnt von diesem Genie Orwell. Trotzdem geschieht das. Die Leute sollten dagegen angehen, Schritte dagegen unternehmen, dass diese Szenarien nie, niemandem nirgendwo widerfahren werden. Aber keiner tut etwas.“
Die Regensburger Produktion in der Regie von Intendant Sebastian Ritschel und im Bühnenbild von Ausstattungsleiter Kristopher Kempf ist weltweit erst die zweite ihrer Art. Zuvor wurde die Londoner Uraufführungsversion u.a. erfolgreich in Mailand (2008) und Valencia (2011) gezeigt. Maazels großangelegte Partitur wird im Auftrag des Theater Regensburg von Professor Norbert Biermann in einer „mittelgroßen“ Fassung neu eingerichtet. Die vielschichtige Komposition umfasst ganz im Sinne der Zeitoper Musik für politische und pseudo-religiöse Rituale, zitiert Volksliedhaftes sowie 50er-Jahre-Pop und gibt Raum für große Gefühle, denn für den Komponisten besteht der Kern der Oper in der Liebesgeschichte von Winston und Julia: „Wir idealisieren Menschen gern. Ein jeder ist größer als das Leben. Davon handeln Opern. Die Menschen, die wir auf der Bühne sehen, Liebende, die zueinander finden – so wollen wir doch auch sein, mit dem ganzen Mut, der Courage“ (Maazel).
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